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Aus wenig viel machen

Die Herausforderungen beim Studentenfilm “Fremde”

Unser Autor Holger Jungnickel hat ihn Bydgoszcz auf dem Camerimage-Festival 2018 den “Bronze Tadpole” für seine Kameraarbeit am Studentenfilm “Fremde” verliehen bekommen. Für den Drittjahresfilm an der HFF München musste das Team aus geringen Mitteln das Maximum herausholen. Über die Herausforderungen erzählt DoP Holger Jungnickel in der Ausgabe 4/2018. Hier geht es weiter mit Teil 2 des Drehberichts.

Aufbau der Konstruktion für den Tier-Shot
Aufbau der Konstruktion für den Tier-Shot (Bild: Hagen Raeder)

REDUKTION AUFS NÖTIGSTE

Aus wenig viel machen, das war – wie bei vermutlich allen Studentenfilmen – auch bei uns die Philosophie. Besonders der Faktor Zeit machte mir in der kurzen Vorbereitung viel Bauchschmerzen. Witterung, wenig Tageslicht, aufwändige Kostüme, Kinder, Tiere, Nebel und weite Wege durch unwegsames Gelände, verlangten möglichst einfache Lösungen für Licht und Kamera.

So kam unser Leichtdolly nur beim Wolf einmal als Rollstativ zum Einsatz. Alle anderen Einstellungen wurden fast komplett mit Handkamera, Stativ oder Slider realisiert. Da es im Moor und Wald nur schwer bis nicht möglich war, Schienen zu legen und im Bunker zu eng, kam für ein paar wenige längere Kamerabewegungen ein ARRI Maxima Gimbal von NeoFlight zum Einsatz, denn nur dieser war (damals) in der Lage, die ALEXA Mini mit den Hawk-Anamorphoten zu tragen. Zudem ist das System extrem robust, unempfindlich und schnell im Setup.

Auf der Lichtseite haben wir im Außenbereich komplett auf Lampen verzichtet. Lediglich eine Styro und schwarzer Molton kamen hier und da zum Einsatz. Das Beleuchterteam unter Oberbeleuchter Benjamin Hirlinger konnte somit an der sehr aufwändigen “Nebelfront” aushelfen. Teils wurden sechs Teammitglieder damit betreut, eine möglichst gleichmäßige Atmosphäre zu schaffen. Ein wirklich nervenaufreibendes Unterfangen.

Im Bunker selbst wurde ebenfalls außer in der größeren Showdown-Szene nur mit kleinen LED-Einheiten unterstützt. Ich mag das reduzierte Farbspektrum von Leuchtstoffröhren, welches beim “Nachleuchten” zu schnell wieder zu clean wird. Anders als außen ist Haze innen ein wahrer Segen. Kaum Luftzirkulation und nahezu keine Fenster erleichterten den Umgang damit enorm. Der teilweise sehr hohe Kontrast ohne Fülllicht konnte durch die “dicke” Luft ausreichend aufgebrochen werden und schaffte gleichzeitig weitere Tiefe.

Die Beleuchtung im Bunker wurde durch Nebel noch intensiver.
Die Beleuchtung im Bunker wurde durch Nebel noch intensiver. (Bild: Holger Jungnickel)

Viel Wert legten wir auf Farbtemperaturen. Die Räume sollten sich unterscheiden und ihrer Spielhandlungen angepasste Stimmungen bieten. Das war unter anderem auch mit aufwändigen Folieren der Practicals verbunden. Bis auf die 500-Watt-Glühbirne in der Küche der Familie, wurde alles aufgeschraubt und eingepackt. Die Glühbirne sollte ein nostalgisches Überbleibsel der vergangenen Welt darstellen. Damit sie dennoch zu den Lichtintensitäten der restlichen Innenwelt passt und im Bild nicht zu stark überstrahlt, wurde sie fast auf Minimum gedimmt. Dadurch entstand ein spannender Farbkontrast zu unseren Tageslicht-Einfallern.

Eine wichtige Baustelle bei Filmen, die nicht im Hier und Jetzt spielen, ist VFX. Benötigt man digitale Unterstützung, um dem Zuschauer eine Welt glaubhaft zu machen? Schaut man sich kommerzielle Produktionen an, lautet die Antwort fast ausschließlich “Ja”. Natürlich heißt es immer, man habe so viel wie möglich “in camera” gemacht.

Faktisch sind dann aber eben statt 40 Prozent nur 30 Prozent am Computer entstanden. Wir wollten keinen VFX-Film, haben uns aber trotzdem mit OM-Studios Berlin im Vorfeld getroffen, um das Thema zu diskutieren. In “Fremde” wird mit einer Armbrust geschossen, was aus Sicherheitsgründen in Form eines CGI-Pfeils besser zu einem Studentenfilm passt. Trotzdem haben wir eine  Wolfs attrappe hergestellt, um auch das zu umgehen.

Leider war am Set nach dem ersten Take klar, dass trotz der täuschend ähnlichen Wolfspuppe die Aufprallbewegungen durch den einschlagenden Pfeil filmisch nicht ausreichend herzustellen sind. Moritz Huber sorgte letzten Endes für ein stimmiges digitales Pendant.

POSTPRODUKTIONS-ENSEMBLE

Nach einer sehr kurzen Vorproduktions- und Drehzeit folgte eine dafür umso ausgiebigere Postproduktionsphase. Janina Kaltenböck von der Filmakademie Baden-Württemberg nahm sich des Schnitts an, welcher in Berlin an der DFFB und in Wien stattfand. Die Schnittprofessoren der HFF München sowie der Filmakademie Baden-Württemberg standen beratend zur Seite.

Prüfender Blick: Regisseur Tim Dünschede verfolgt eine Szene.
Prüfender Blick: Regisseur Tim Dünschede verfolgt eine Szene. (Bild: Katja Kuhl)

Die Filmmusik wurde durch Sebastian Pille in New York und Martin Rott in Berlin komponiert und produziert, Foleys kamen von Joo Fürst im Allgäu, das Sounddesign von Simone Weber in Hamburg und das Grading wurde durch Yves Roy Vallaster aus Zürich und Edmont Laccon aus Schottland am Nucoda in der DFFB in Berlin gezaubert. Dort fand auch die Mischung unter der Leitung von Jan Pasemann statt.

Der Film fand nach verschiedenen Experimenten zu “weniger ist mehr” zurück. Für mich wurde das im Grading durchaus zu einer Geduldsprobe. Bei 500 Schnitten waren fünf Tage nicht wirklich üppig berechnet. Kombiniert mit den nicht mehr zeitgemäßen Tracking-Tools von Nucoda mussten wir uns stark einschränken, was das “Nachleuchten” im Grading betrifft. Jeder Eingriff ins Bild musste gesamtheitlich funktionieren und einfach auf die umliegenden Bilder übertragbar sein. Ziel war es, dass der Film trotz des endzeitlichen Settings eine gewisse Natürlichkeit behält.

GEBALLTE FILMHOCHSCHULPOWER

Wie sich herausstellt, ist “Fremde” mit seiner Koproduktion von drei großen Filmhochschulen der erste Kurzfilm seiner Art und findet hoffentlich viele Nachahmer. Der bürokratische Aufwand hatte auch seine positive Seite, da er uns einen Vorgeschmack auf das Leben nach der Filmhochschule gab, mit vielen verschiedenen Verantwortungsträgern und Entscheidern.

Für den Film ist eine wunderbare Symbiose so vieler unterschiedlicher Menschen und Studenten ermöglicht worden, die “Fremde” eine besondere Kraft geben. Auch das Filmfestival Max-Ophüls-Preis scheint diesen Eindruck zu haben, denn dort feierte der Film im Januar seine Uraufführung im Wettbewerb des Mittellangen Spielfilms.

Hier gehts zum ersten Teil des Drehberichts.

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